Protreptik, was ist das? Das ist ja gar kein ordentliches englisch klingendes Buzzword, das kann man ja kaum aussprechen. Und dann kommt das auch noch aus dem kleinen Dänemark! Ja, kann man das denn überhaupt in die knallharten deutschen Management-Verhältnisse übertragen?
OK, mal anders angefangen? Vielleicht ist ja hier etwas für Sie dabei:
Wenn Sie sich für Entwicklung von Führungskompetenzen und mehr Realismus in der Selbstbeziehung, d.h. Stärkung der Reflexivität in einem nicht psychologischen, sondern normativen Rahmen begeistern oder die Verwirklichung von Unternehmenswerten durch die Schaffung einer kritisch-reflexiven, dialogischen Praxis (die meisten Führungskräfte und Mitarbeiter nehmen Werte als selbstverständlich hin oder verstehen sie nur zur Hälfte und somit weder, was sie implizieren noch welche Dilemmata sie beinhalten)* für Sie einen hohen Stellenwert hat, sie sich fragen wie die Stärkung von Redlichkeit, Glaubwürdigkeit und Sorgfalt in der Organisation und in ihren Beziehungen zur Außenwelt und eine Intensivierung des gemeinschaftlichen Handelns unter einen Hut passen, dann ist dies hier die gute Gelegenheit sich jetzt erstmals mit Protreptik zu befassen. Nur noch vorweg zur Klärung: Es -oder sie - ist kein Trick, sondern vielmehr eine umfassende Methode, die sich aber gut erlernen lässt. Also keine Scheu!
PROTREPTIK ist eine philosophisch inspirierte Gesprächsform, die in den letzten Jahren sowohl in öffentlichen Organisationen als auch in der Privatwirtschaft als Alternative und Ergänzung zu Coaching, Mentoring, Beratung usw. immer beliebter geworden ist. Es war Aristoteles selbst, der Protreptik in der „Führungsakademie“ der Antike erstmals einsetzte. Ganz aktuell wurde die Protreptik durch Professor Ole Fogh Kirkeby an der Copenhagen Business School zu neuem Leben erweckt. Hier wurde sie neu systematisiert, nuanciert und in das moderne Arbeitsleben integriert und von Leuten wie Mette Mejlhede und Kim Gørtz in die Coachausbildung eingeführt.
Die Methode hat sich so als Kunst, als Ausbildungs-Disziplin sowie als professionelles Gesprächsinstrument in der Managementpraxis und im weiteren Sinne als Inspiration und Ergänzung in therapeutischen, Coaching- und Beratungsprozessen aktualisiert und stetig weiterentwickelt. Mit ihrem Buch Protreptik i praksis leiten Mejlhede und Gørtz die Übenden an, sich gut in die Methode hineinzufinden, und beleuchten, wie man einen abstrakten und reflektierenden Dialog allem voran aufrechterhält und welche Ergebnisse in den protreptischen Prozessen erzielt werden können.
Zielgruppe dieses Buches sind selbstverständlich alle, die
Protreptik noch nie ausprobiert haben - beziehungsweise kaum das Wort kaum aussprechen können.
schon Bekanntschaft mit Protreptik gemacht haben, es aber schwierig finden, sie in die Praxis umzusetzen.
bereits einige Erfahrungen mit Protreptik gemacht haben - und sich neue Inspiration und neue Tools wünschen.
Für die englisch- und deutschsprachige Welt hat Reinhard Stelter die Protreptik bereits in sein Konzept des Third Generation Coaching (Sein Buch mit dem Titel A Guide to Third Generation Coaching erschien 2014 auf englisch bei Springer Science+Business Media Dordrecht) integriert und so allen erste Ansätze verfügbar gemacht, die des Dänischen nicht mächtig sind. 2019 erschien sein Buch Kunsten at dvæle i Dialogen auf deutsch (zusammen mit Uwe Bönig unter dem Titel Coaching als mitmenschliche Begegnung - Die Kunst zu verweilen). Für die nahe Zukunft kann man erwarten, dass die deutschen Coaches Aust und Schmelzer mit ersten Angeboten zu Stelters Third Generation Coaching auch die Protreptik in Deutschland vorstellen werden.
Die Methode eignet sich hervorragend, um komplexe Zusammenhänge zu analysieren. Ein gutes Beispiel ist es da etwa, Werte zu konkretisieren, indem sie sie für den*die Einzelne*n greifbar macht. Sie eignet sich hervorragend, um das Verständnis des*der Einzelnen für ihre Rolle in der Organisation zu stärken. Sie ist eine kraftvolle, dialogische Technik zur Schaffung von Einheit und Harmonie in der Organisation. Darüber hinaus können Protreptiker Metaphern und Beispiele verwenden, die sich mit den grundlegenden Wertmotiven für das, was man tut, befassen.
Sie verwendet dafür als Ausgangspunkt etwa einen Begriff, der sowohl für den*die einzelne*n Beteiligte*n als auch für die Selbstwahrnehmung und die Leistung der Organisation von Bedeutung ist. Ein solches Wort, z. B. "Verantwortung", wird dann in einem Dialog zwischen dem*r Protreptiker*in und dem*r Dialogpartner*in auf die im Wort verborgenen Bedeutungsdimensionen hin analysiert. "Verantwortung" enthält zum Beispiel den Begriff "Antwort" und muss daher eine Frage voraussetzen. Aber wer fragt, was wird gefragt, wer antwortet und wie? Durch diese Analyse kommen wir allmählich zu den Begriffen, die mit dem Wort verbunden sind, wie Vertrauen, Mitgefühl, Entscheidungsrechte und -pflichten, Legitimität usw. Diese Normen gehören allen, aber die Beziehung des*der Einzelnen zu ihnen ist entscheidend für seine*ihre Fähigkeit, zu verstehen, warum er*sie tut, was er*sie tut, und JA oder NEIN zu den Anforderungen der Organisation zu sagen.
Soweit also ein kurzer Eindruck von diesem Verfahren. Der Trick zur Protreptik wäre zunächst einmal zu lernen das Wort fehlerfrei auszusprechen und dann die ersten Schritte zum Erlernen des Verfahrens zu tun. Derzeit sind die meisten Texte hierzu nur in dänscher Sprache verfügbar. Allerdings bin ich selbst begeisterter Protreptiker und werde mir die Freude gönnen, hier auf diesem Blog gelegentlich neues zur Protreptik zu posten und interessante Auszüge aus dem Dänischen mitzuverarbeiten.
Anmerkungen
* So auf dänisch unter https://olefoghkirkeby.dk zu lesen.
Literaturhinweise:
Kirkeby, Ole Fogh (2009), The New Protreptic : The Concept and the Art. Frederiksberg : Copenhagen Business School Press, 190 s.
Kirkeby, Ole Fogh (2016), Protreptik: Selvindsigt & Samtalepraksis Samfundslitteratur.
Kirkeby, Ole Fogh & Dam Hede, Tobias & Larsen, Jens & Mejlhede, Mette (2008), Protreptik : Filosofisk coaching i ledelse. Frederiksberg : Samfundslitteratur, 2008. 204 s.
Kirkeby, Ole Fogh & Mejlhede, Mette (2014), Coaching, protreptik og refleksion I: Coaching i nyt perspektiv: En metodebog. . red. /Kim Gørtz; Tine Gaihede. København : Hans Reitzel 2014, s. 285-298
Mejlhede, Mette & Gørtz, Kim (2015), Protreptik i praksis. Få væsentlige samtaler til at lykkes, DJØF's forlag, København.
Stelter, Reinhard (2012), Tredje generations coaching – En guide til narrativ-samskabende teori og praksis Dansk Psykologisk Forlag A/S, København..
Stelter, Reinhard (2014), A Guide to Third Generation Coaching - Narrative-Collaborative Theory and Practice , Springer Science+Business Media, Dordrecht.
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