"Das ungeprüfte Leben ist nicht lebenswert." Dieses Zitat verweist auf die Betonung der Bedeutung des kritischen Denkens und der Selbsterkenntnis hin. Sein Urheber soll Sokrates gewesen sein, der bekannte griechische Philosoph, der im 5. Jahrhundert v.u.Z. lebte. Er war dafür bekannt, dass er seinen Schülern keine direkten Antworten gab, sondern sie dazu anregte, durch Fragen ihre eigenen Überzeugungen und Argumente zu überdenken und in Frage zu stellen. Er forderte die Menschen auf, ihr Leben zu hinterfragen und zu prüfen, wie zu einer wahrhaft erfüllten Existenz zu gelangen sei. Sokratisches Fragen bezieht sich also auf eine bestimmte Technik des Fragens, die auch unter dem Begriff Mäeutik bekannt geworden ist.
Die Mäeutik ist akso eine Methode des philosophischen Fragens. Der Begriff stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet "Hebammenkunst". Ähnlich wie eine Hebamme bei der Geburt eines Kindes hilft, den Prozess den gesamten Prozess zu förderm, zu begleiten und das Neugeborene ans Licht zu bringen, betrachtete Sokrates seine Rolle als Philosoph darin, Wissen und Erkenntnis in den Köpfen seiner Gesprächspartner zu "gebären". Die antiken Philosophen verstanden sich vielfach als praktische Helfer und in gewisser Weise waren Sokrates und andere sicher die ersten Coaches, von denen wir wissen.
Aus Schütz, A. & Kaul, C. (2018), Mittel verbaler und nonverbaler Kommunikation im Coaching, in: Greif/ Möller/ Scholl (Hrsg.) (2018), Handbuch Schlüsselkonzepte im Coaching, S. 376. Die mäeutische Methode besteht also darin, Fragen zu stellen, um die verborgenen Ideen und Überzeugungen einer Person ans Licht zu bringen und ihr dabei zu helfen, die eigenen Gedanken zu erkunden und zu klären. Sokrates ging davon aus, dass wahres Wissen bereits im Inneren eines jeden Menschen vorhanden, oft aber verschleiert oder unklar ist. Durch geschicktes Fragen und kritisches Nachdenken sollten diese verborgenen Weisheiten zur bewussten Erkenntnis gebracht werden. Es wurde also beteits damals mit der ebene des Bewußten wie auch mit unbewußten Gedächtnisteilen gearbeitet. Ein Feld, auf dem die heutige neurowissenschaft zu guten Ergebnissen - auch für das Coaching . gekommen ist. Beiträge hierzu in diesem Blog.
Die Mäeutik betont so das aktive Denken, die Selbstreflexion und die Selbsterkenntnis als Mittel zur Wahrheitssuche und persönlichen Entwicklung. Sokrates glaubte, dass durch diesen dialogischen Prozess Menschen zu einem tieferen Verständnis von sich selbst und der Welt gelangen können. Das sokratische Fragen basiert auf dem Prinzip, dass wahres Wissen nicht einfach von außen vermittelt werden kann, sondern von jedem Individuum selbst entdeckt und verstanden werden muss - eine Haltung, die in vielen Coaching-Situaltionen angebracht ist. Sokrates glaubte bereits, dass durch systematisches Hinterfragen von Annahmen und Überzeugungen ein tieferes Verständnis erreicht werden kann.
sophiaze hat (2018) in Ihrem Beitrag "Gespräche führen wie Sokrates – auch in der Schule" eine schöne Infografik präsentiert, die den Verlauf eines sokratischen Gesprächs anschaulich illustriert. Man kann leicht erkennen, dass ein ähnlicher Prozess bei der Suche nach Ressourcen oder nach Hemmnissen/ Hindernissen (Realty-Check) greift.
Praktisch besteht die sokratische Methode darin, eine Reihe von bestimmten Fragen zu stellen, um eine Person dazu zu bringen, ihre eigenen Gedanken zu reflektieren (Förderung der Selbstreflexion im Coaching) und möglicherweise inkonsistente oder unbegründete Ansichten zu erkennen. Sokratische Fragen sind oft offene Fragen, die dazu dienen, Informationen zu klären, Gedanken zu erweitern oder Widersprüche aufzudecken. Ein Beispiel für eine sokratische Frage könnte sein: "Was ist die Grundlage für deine Überzeugung?" oder "Kannst du ein Beispiel geben, das deine Argumentation unterstützt?"
Sokratisches Fragen wird oft in pädagogischen (siehe oben sophiaze, 2018) und therapeutischen Kontexten verwendet, um kritisches Denken, Selbstreflexion und tieferes Verständnis zu fördern. Es kann auch in informellen Gesprächen oder Diskussionen angewendet werden, um einen konstruktiven Dialog zu ermöglichen und die Denkfähigkeit der Beteiligten zu verbessern. (Vgl. hierzu auch Beiträge zur Protrptik in diesem Blog.)
Das klingt doch so, als seien Fragetechniken das A und O, wenn es um Selbstreflexion und neue Erkenntnisse geht Aber es gibt einen Wehrmutstropfen: Durch alzu hartnäckiges Fragen können sich Menschen geradezu "gelöchert" fühlen und dann Reaktanz gegenüber dem/ der Fragenden entwickeln, was dann einer positiven Entwicklung der Arbeitsbeziehung und des Coaching-Prozesses entgegen wirken kann. Hier gilt es also im Coaching-Gespräch besondere Sensibilität Klient*innen gegenüber zu zeigen und sich weitere methodische Möglichkeiten anzueignen. Hierzu mehr auf diesem Blog, wenn es an anderer Stelle zum Beispiel um das Thema "Motivational Interviewing" geht.
Literatur: Eymann, U. (2013): Das sokrarische Gespräch – eine moderne Form des Unterrichts!?. In: Pädagogik + Leben. 2-2013; Verfügbar unter: https://bildung-rp.de/fileadmin/user_upload/p_files/Materialien/PL_Publikationen/13_2_PL/Das_sokratische_Gespraech.pdf Horster, D. (1994), Das Sokratische Gespräch in Theorie und Praxis.
Schmidt-Lellek, C. (2018), Ethik und ethische Kompetenz im Coaching, in: Greif/ Möller/ Scholl (Hrsg.) (2018), Handbuch Schlüsselkonzepte im Coaching, S. 177. Schmidt-Lellek, C. (2001). Was heißt „dialogische Beziehung“ in berufsbezogener Beratung (Coaching und Supervision)? Das Modell des Sokratischen Dialogs. Organisationsberatung, Supervision, Coaching, 8(3), 199–212. Schröder, T. & Prytula, M. (2018), Sprache und Bedeutung als Grundlagenthemen im Coaching, in: Greif/ Möller/ Scholl (Hrsg.) (2018), Handbuch Schlüsselkonzepte im Coaching, S. 550.
Schütz, A. & Kaul, C. (2018), Mittel verbaler und nonverbaler Kommunikation im Coaching, in: Greif/ Möller/ Scholl (Hrsg.) (2018), Handbuch Schlüsselkonzepte im Coaching, S. 376.
Wahler, H. (2012): Sokratische Methode – Sokratischer Dialog – Sokratisches Gespräch: Zur Anwendung in Philosophischer Praxis, Pädagogik und Psychotherapie. In: e-Journal Philosophie der Psychologie. 2012; Verfügbar unter: http://www.jp.philo.at/texte/WahlerH1.pdf
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